Gedanken zur Fahrt nach Auschwitz

Auschwitz

Vor ungefähr 5 Monaten kam eine aufgekratzte Doreen zu uns und erzählte ganz aufgeregt davon, dass wir etwas ganz tolles erleben dürfen und das sie da leider nicht mitfahren kann und Peter auch nicht, aber dafür Thomas und dass dies eine Belohnung dafür sei, das wir eine so gute Französische Revolution gespielt hätten, und ... . Auch wenn wir erst Mal nicht wussten worum es ging hörte wir dann doch alle sehr gespannt zu. Und dann platzte der Knoten und es hieß: "Ihr dürft für eine Woche nach Auschwitz fahren!"

Es gibt zu diesem Thema in der Klasse ebenso viele Wissenslücken, wie Leute die gut darüber Bescheid wissen. Trotzdem hatte prinzipiell niemand etwas dagegen einzuwenden.

Es war also beschlossene Sache, wir fahren nach Auschwitz! Um dort aber nicht total uninformiert hinzufahren, erlebten wir so etwas wie einen Crash-Kurs in Sachen Holocaust. Jeder musste ein Buch zu diesem Thema lesen, in fast jedem Fach unterhielten wir uns über den Holocaust und wir schauten "Schindlersliste". Den Höhepunkt unseres vorab Informationsprogramm stellte ein Zeitzeugengespräch mit dem Chemnitzer Juden Justin Sonder dar. Und damit fing es eigentlich so richtig an, das was mir auch jetzt noch Beklemmungen verursacht und nicht nur mir.

Wie tritt man als deutscher Jugendlicher einem Menschen gegenüber, der in Auschwitz war? Wie verhält man sich? Was soll man sagen? Was kann man sagen? Für viele ist das jetzt vielleicht eine sehr einfache Entscheidung, man sollte doch Demut und Respekt zeigen und eine gehörige Portion Schuldbewußtsein mitbringen. Aber ist das wirklich so einfach? Klar habe ich Respekt vor so einem Menschen, vor jeder einzelnen Sekunde sogar, in der er sich in Gefangenschaft befunden hat, aber schuldig? Nein, schuldig fühle ich mich nicht und ich schäme mich auch nicht dafür, denn es betrifft mich doch nur mit 4 Generationen Abstand. Ich fühle mich nicht schuldig, nein, aber ich fühle mich verantwortlich dafür zu sorgen, dass so was nie wieder passiert. Ich glaube, dass wir uns spätestens nach dem Zeitzeugengespräch alle verantwortlich gefühlt haben, aber trotzdem, die Beklemmung wollte einfach nicht von uns weichen. Speziell mich lies sie die ganze Fahrt mit dem Bus nach Auschwitz nicht los. Konnte man fröhlich Skatspielen, mit dem Wissen an einen Ort zu fahren der für 2.000.000 den Tod bedeutete? Kann man auf einer Studienfahrt nach Auschwitz lachen? Und kann man mit einem Bus nach Auschwitz fahren auf dem ganz dick und fett der Name des Busunternehmens "Heilmann" stand?

Auf all diese Fragen hatte ich keine Antwort, aber ich hoffte sie in der nächsten Woche zu finden. Uns erwartete eine sehr gut ausgestattete Jugendbegegnungsstätte, die in uns sofort die Erinnerung an eine Klassenfahrt weckte. Noch am selben Abend saßen wir mit einer Cola gemütlich beim Skatspielen.

Am ersten richtigem Tag besuchten wir das Stammlager, sowie am Nachmittag Birkenau. Es war eine sehr unangenehme Situation in der wir uns befanden. Zum einen hatten wir wohl alle Ehrfurcht vor diesem Ort und die Berge von Menschenhaaren verstörten uns stark, zum anderem mussten wir Plakate über Auschwitz anfertigen und dazu gehörten halt auch Fotos! Und so waren wir im Stammlager: Eine Horde Schüler, geleitet von einem "Führer", jeder mit Fotoapparaten und/oder Diktiergeräten ausgestattet. Wir erweckten wohl eher den Anschein einer Touristengruppe bei den Pyramiden, als eine betroffene, um Informationen bemühte Klasse. Überhaupt kam mir das Stammlager fast wie eine Attraktion für "Touris" vor, mit den vielen Reisegruppen und mit den Bussen vor dem Eingang. Mir wurde im Nachhinein erst bewusst, dass ich, als wir die Verbrennungsöfen erreichten, einfach mal so in die Öfen rein fotografiert habe... . Am Nachmittag war Birkenau dran. Hier waren nicht so viele Leute wie im Stammlager, es war aber auch nicht mehr viel erhalten. Wobei gerade dies das Verstörende war: Eine riesige Fläche hinter Stacheldraht auf denen nur noch die Grundmauern und die Schornsteine der einzelnen Baracken standen, soweit das Auge reicht...

Es erinnerte ein wenig an Buchenwald, denn auch dort ist nicht mehr viel erhalten geblieben und das Bedrückende ist die Leere von der man weiß, das sie einmal voll mit eingesperrten Menschen war.

Auch wenn es eine Vielzahl an Informationen an diesem Tag war, verstehe ich trotzdem nicht warum einige aus unserer Klasse in Birkenau ein Wettrennen veranstalten mussten... .

Am nächsten Tag hatten wir Zeit für uns, was viele auch dringend brauchten. Aber der übernächste Tag hatte es in sich. Zuerst ein Zeitzeugengespräch mit einem politischem Gefangenen polnischer Herkunft und danach wollten wir noch den Film anschauen, den sowjetische Soldaten damals bei der Befreiung des Lagers filmten. Es ist ein sehr komisches Gefühl, wenn man mit dem Wissen und den Eindrücken des Geschehenem, einem Menschen gegenüber tritt, der diese Hölle überlebt hat. Und nicht nur ich stellte mir die Frage, wie ein Mensch uns so lieb gegenübertreten kann, obwohl wir die Sprache sprechen, die für ihn das schlimmste symbolisierte und Zeichen eines Terrorregimes war. Und noch mehr beschäftigte uns wohl die Frage, wie Menschen so etwas tun können. Denn man sollte angesichts der schrecklichen Dinge die unter deutschem Namen passiert sind, nie vergessen dass es Menschen und keine Teufel waren, die das Begangen haben.

Wenn ich mir früher einen Film mit toten Menschen angeschaut habe und es mir zu grauenhaft wurde, tröstete ich mich immer damit, dass es doch Schauspieler waren denen nichts passiert ist. Als wir uns den Film über die Befreiung des Lagers anguckten, hätte ich mich gern so getröstet, aber es ging nicht! Denn jeder wusste, dass es echte Menschen waren, deren Überreste auf einem Scheiterhaufen lagen und deren Augen uns hilfesuchend anblickten. Ich glaube, dass erst der Film uns gezeigt hat, was Auschwitz wirklich war! Auch wenn wir uns hinterher über die Frage unterhielten, ob es denn nicht pervers sei, sich so etwas anzuschauen. Auch wenn auf der Rückfahrt viele schliefen, hatte ich doch das Gefühl, das es ruhiger als sonst war. Denn das, was wir gesehen und erlebt hatten, beschäftigte wohl immer noch jeden einzelnen von uns.

Als wir wieder zu Hause waren und einen die Eltern und Freunde fragten, wie es denn so war, antwortete ich immer unbewusst mit der gleichen Antwort: "Na ja, das es schön war kann man ja wohl schlecht sagen... Es war interessant, sehr interessant..."

Ob es uns was gebracht hat? Ja, da bin ich mir sicher! Ich hoffe, dass nun keiner aus unserer Klasse jemals wieder die Frage stellen wird: "Was ist ein KZ?" Außerdem ist mir aufgefallen, das ich seither auch jetzt noch manchmal meine Worte auf die Goldwaage lege und überhaupt hört man in unserer Klasse solche Sätze in der Art wie "Da müssen wir ja bis zur Vergasung Hausaufgaben machen..." seltener.

Und jeder von uns weis jetzt um die Verantwortung die wir tragen, damit man irgendwann mal ohne schlechtes Gewissen sagen kann, dass man stolz ist, ein Deutscher zu sein.


Paul- Christian Zerbe Klasse 9 Dezember 2003

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