Polis

© Stefan Knorr, Februar 2005

„Pol&IS“ oder
„Wer das Planspiel nicht ehrt, ist des großen Parketts nicht wert“

Nachdem die letzte Klasse 10 uns auf der Wochenfeier von einem Planspiel erzählt und uns ein paar Fotos gezeigt hatte, wusste ich noch nichts damit anzufangen, dass dieses Planspiel auf unsere Klasse aber auch zukommen würde, konnte man sich ausrechnen. Die Tatsache, dass wir mit Annabergern („Dörfler“) fahren sollten, erfreute mich auch nicht so besonders, einzig die Tatsache, dass sie vom Gymnasium kamen, erschien mir positiv. Dass sie genauso voreingenommen waren, einzig deshalb, weil wir von irgendeiner dummen Mittelschule kamen, merkten wir auch bald. Was ich ebenfalls nicht schön fand, war die Tatsache, dass das Ganze von der Bundeswehr organisiert wurde.
Schon im Bus war es so, wie es oft ist, wenn sich zwei unterschiedliche Gruppen zum ersten Mal begegnen und zusammen Bus fahren: Wir saßen alle mehr oder weniger separiert. Nur wenige trauten sich, einen Annaberger neben sich zu lassen.
Als wir dann ankamen, stellten wir fest, dass wir in einem recht kleinem Ort waren und der (vermutlich) einzige Laden geschlossen war, da jener Montag „Allerheiligen“ hieß. Allerdings war „Schloss“ Schney kein Neubaublock, wie Jan uns gesagt hatte, sondern ein zwar hässlicher und altmodischer, aber nicht ungastlicher Bau mit einer sehr guten Sportanlage.
Was man als Politiker als Erstes macht? Mittag essen. Es fing also schon vor dem Beginn realistisch an. Danach durften wir alle vom Chemnitzer Jugendoffizier eine Karte aus einem (sehr speziellem¹) Kartenspiel ziehen. Je nach Karte wurde nun eingeteilt, wer in welche Region gehen musste. Davon hatte die Welt elf (Westeuropa, Osteuropa, China, Nordamerika etc.). Ich war Wirtschaftsminister von Ozeanien. Es ist nicht sehr sinnvoll, sich nach Asien einteilen zu lassen, dazu aber später. Das hatte etwas mit rechnen zu tun, also nicht so ganz mein Metier. Danach wurde uns fast am gesamten ersten Tag das so genannte Produktionsformular erklärt. Dieses Formular hatte 5 Einheiten: Agrar-, Industrie-, Energie-, Rohstoff- und Geldeinheiten („Pol&IS-Dollar“). Ein „Pol&IS-Dollar“ entsprach zirka 250 Millionen US-Dollar, was bedeutete, dass die Geldsummen maximal dreistellig wurden. Da Ozeanien nur aus Australien und Neuseeland bestand, hatte ich nicht allzu große Beträge zu verwalten.
Für das erste Jahr gab es Vorgaben, was man an Geld etc. hatte, wie hoch der Mindestlebensstandard im Industrie- und im Agrarbereich war. Ozeanien hatte im Industrie- und Agrarbereich jeweils einen Mindestlebensstandard von 21 Einheiten. Um auch in Zukunft eine Grundlage zu haben, muss auch etwas neu produziert werden, dazu gab es in den vier ersten Bereichen so genannte Zentren (eine Gelddruckmaschine wäre natürlich auch zu schön gewesen). Diese Zentren konnte man auch neu errichten. Ich rate jedem, aber vor allem Osteuropa und der GUS, im ersten Jahr ein Müllzentrum neu zu bauen.
Nach dieser „Beratungsphase“ mussten die Wirtschaftsminister in einen Nebenraum, um ihr Produktionsformular überprüfen zu lassen. Außerdem wurde nun das Geld in Spielgeldscheinchen ausgezahlt. Währenddessen waren die Staatschefs und Staatsminister damit beschäftigt, ihre Armeedivisionen auf der Karte zu verschieben. Wer kostenlos kalt abrüsten will, schickt „unabsichtlich“ seine U-Bootflotten gleich raus in das offene Meer. Man sollte dabei allerdings bedenken, dass dies in (eigenen!) Fischfanggebieten nicht hilfreich ist.
Danach folgt die Kurzberatung I, in der man Programme (zu Ende) schreiben und vom Regierungschef unterschreiben lassen konnte. Bei Programmen muss man sehr aufpassen, denn die Spielleitung legt weniger wert darauf, dass es in der Realität machbar wäre, als auf die Originalität des Programms. Auch wichtig ist es, dass das Programm nicht unterfinanziert ist und eine Laufzeit von wenigen Jahren hat. Noch wichtiger ist es, mit den Programmen früh anzufangen, da man nur zwei pro Jahr machen kann. Man sollte besser nicht auf die Idee kommen, genmanipulierte Pflanzen anbauen zu wollen, so etwas geht meistens schief.
Jetzt trennt sich der Wirtschaftsminister wieder von den anderen, um nun mit den anderen Regionen zu handeln. Vorher sollte man sich in der Region darauf geeinigt haben, wovon man wie viel vertauschen kann und was man bis jetzt noch zu wenig hat. Im Handel gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und genau nach Plan zu handeln. Weiterhin ist es sinnvoll alles eins zu eins umzutauschen und nur wenn man Entwicklungshilfe leisten will, etwas zu verschenken (aber nur an das arme Asien). Die anderen beiden aus der eigenen Region können in dieser Zeit zwischen den Regionen umherfliegen, Konferenzen abhalten oder Verträge und Pakte schließen. In dieser Zeit sollte man schon versuchen, an eine Konferenz für atomare Abrüstung zu denken, um vermutlich später entstehende Kriege weniger gefährlich werden zu lassen (Achtung: Abrüsten ist nur langfristig günstiger [weniger Armeeunterhalt]!). Man sollte sich gut überlegen, wem man vertraut, Kriege werden auch oft von denen angefangen, die „normalerweise“ strenge Pazifisten sind.
Danach kommt die Kurzberatung II, in der man sich gegenseitig über Handel und Bündnisse austauschen kann und auch sollte, denn selbst kleine Missverständnisse können zu großen Regierungskrisen führen. Nach der Beratung kommt die Auswertung des Jahres, also: Wie haben die Weltpresse, Amnesty International und Greenpeace das Jahr gesehen? Was sagt der Bericht der Weltbank? Was sagen die Regierungschefs zu den Entwicklungen in ihrem Land?
Danach ist das erste „Pol&IS“-Jahr vorbei, bei uns war dies am zweiten Tag. Aber es geht noch weiter: Jetzt kommt der „Ticker“, hier kommt man vor, wenn man ein Programm gestartet hat, ein Erdbeben im nächsten Jahr droht, Drogen von Südamerika nach Westeuropa geschafft wurden und so weiter und so fort. Das alles hat entweder positive oder negative Auswirkungen, es wird zum Beispiel die Produktivität gesteigert oder gesenkt. Gibt es negative Auswirkungen, kann man nur versuchen, im nächsten Jahr ein Programm zur Regulierung des Problems zu schreiben. Danach werden Zufallsereignisse ausgelost, wie das Wetter oder ob im nächsten Jahr wegen Unterversorgung gestreikt wird (sollte im ersten Jahr noch nicht sein).
Danach fängt man mit dem nächsten Jahr an (oder geht vorher erst einmal etwas essen). Warum ich vorhin gesagt habe, dass man im ersten Jahr unbedingt ein Müllzentrum bauen sollte? Im zweiten Jahr kommt ein zweites Formular, dass ein riesiges Problem mit sich bringt: Das Umweltformular. Und hopps, ist die heile Welt des ersten Jahres auf den Kopf gestellt. Ozeanien war von diesem Problem eher wenig betroffen, deshalb hätte es sich gelohnt, den Müllberg anderer Nationen nach Ozeanien zu schieben, um unter dem Müllgrenzwert zu bleiben, um Zeit zu gewinnen, Programme gegen den Müll zu entwickeln.
Ich persönlich finde das Spiel sehr gut, denn es veranschaulicht sehr eindrucksvoll, wie unfair die Welt zwar ist, dass aber nie nur einer, sondern, wenn, dann alle verlieren. Es veranschaulicht auch die politischen Vorgänge sehr gut, allerdings muss ich sagen, dass man, wenn man Wirtschaftsminister ist, wenig von der Politik mitbekommt. Ich hätte auch gern mehr Konferenzen beigewohnt (Ich wurde im dritten Jahr kurzzeitig als Regierungschef gewählt, musste aber wegen Querelen in der neuen Regierung zurück treten).
Aber so gut das Spiel auch entwickelt ist, so unfair sind manche Dinge, im speziellen für Asien (extreme Armut) oder Weltbankkredite, die im Jahr 6 abbezahlt werden müssen (dieses Jahr kommt meist nicht vor). Außerdem ist es nicht schön zu sehen, dass man als winziges Ozeanien von jedem japanischem „Pazifisten“ (Japan ist das einzige Land, dass den Pazifismus in der Verfassung stehen hat) angegriffen werden kann. Sonst kann man sich kaum über Ozeanien beschweren, in den Schuldensumpf sind wir auch nur aufgrund eines Tickerfehlers hineingeraten.
Was ich schade finde, aber den Rahmen des Spiels vollends gesprengt hätte und es auch viel komplizierter hätte werden lassen, ist, dass es keine Unternehmervertretung gab, der Kapitalismus also nicht so gut nachgestellt war. Aber „Pol&IS“ zu spielen, lohnt trotzdem auf jeden Fall und dass es von der Bundeswehr organisiert war, war am Ende auch nicht so schlimm. Es gab am Ende des Spiels sogar noch lustige Panzerbilder auf CD!

Stefan Knorr



¹ Wir durften uns alle einen irakischen Kriegsverbrecher aus dem fast schon berühmten Kartenspiel der amerikanischen Soldaten ziehen.

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